froster
Donnerstag, 13. Juli 2017

Ein Abend nur für sich

Es war noch nicht spät am Abend in der Bar am Stadtrand, in der sich meine Freunde die Zeit vertrieben. Es war eine dieser Bars, die eigentlich niemand mochte, aber man war eben so in der Gegend verwurzelt, dass man immer wieder herkam. Ich schau mich aus langeweile im verrauchten Raum um. Aus dem Nebenzimmer dröhnt Musik einer anderen Generation und vom Nachbartisch eine Gruppe Jugendlicher, deren Verhalten man schnell entschlüsseln konnte und die einen sofort langweilte. Patrick saß mir gegenüber und drehte sich eine Zigarette. Wir waren uns schon mal näher. Er hat erzählt, dass er unzufrieden mit seinem Job im Copyshop ist und schweigt seit dem fast den ganzen Abend. Er hatte immer viel Glück mit den Frauen. Als wir früher in einer WG wohnten, fühlte ich mich oft am Tiefpunkt angekommen, wenn ich alleine im Bett lag und aus dem Nebenzimmer die Geräusche die reinste Form der Liebe versprachen. Warum er immer so ein Glück hatte, fragte ich mich und mein Selbstbewusstsein begann immer mehr zu bröckeln. Irgendwann zog er mit einer Frau zusammen, die ihn kurz danach verließ. Seit dem ist er ruhiger geworden. Da war ich dann froh nicht so viel Glück in der Liebe gehabt zu haben, weil mir damit manche Berg und Talfahrten erspart blieben. Aber vielleicht redete ich mir das auch nur ein. Neben mir sitzt meine Freundin und streichelt mir die innenseite meines Oberschenkels. Ich muss daran denken, wie ich sie letzte Nacht betrogen habe und dass es nicht ungeahndet bleiben würde, wenn es eines Tages heraus käme. Und solche Dinge kommen immer heraus. Wenn schon nicht weil die Menschen alle so nah beisammen sind, dann weil das Vertrauen im Kopf gebrochen wurde und damit auch die Gefühle. Meine Freundin quiekte fröhlich vor sich hin und ich fragte mich, ob ich ihr jemals wieder nah sein könnte. Die Kellnerin kam und brachte Bier und Zigaretten. Ich zündete mir eine an und hielt den Atem an. Ich dachte kurz über Selbstzerstörung nach und darüber, wie man sich vorgaukelt man hätte die Rahmenbedingungen unter Kontrolle. Dann fällt mein Blick auf Anna. Sie hat sich mit ihrer Opferrolle verheiratet. Sie ist sehr hübsch, ihre dunklen Haare und das blasse Gesicht erzählen von vielen Wünschen. Die Trennung mit Viktor wirft sie garnicht sehr aus der Bahn, viel mehr fährt sie eine konstante Strecke der Emotionlosigkeit, weil sie gar nichts anderes erwartet und sich in trockenem Humor und Schnäpsen versteckt. Ich kann sie verstehen, ich kann das meiste verstehen wenn es um Spielarten des Lebens geht und und habe Mitleid. Daneben sitzt Lukas und versucht die Runde zu unterhalten. Es gelingt ihm teilweise, aber man merkt wie es ihn anstrengt. Ich habe seine menschlichen Fähigkeiten schon immer bewundert. Lukas hat wahrscheinlich noch nie ein Buch zu Ende gelesen, aber versteht es besser als alle anderen mit Menschen umzugehen. Wir haben in den letzten Monaten viel Zeit miteinander verbracht. Ich mir immer gewünscht jemanden wie ihn kennenzulernen. Man konnte mit ihm wundervoll faul sein, im Cafe sitzen und Bier trinken und zur Ruhe kommen. Viele Leute kriegen Angst, wenn sie an einem Abend kein Ziel haben, sind voller Gier auf die Ekstase und die Verbesserung. Aber mit Lukas war das anders - so wie es war, war es gut. Oder vielleicht sogar nicht einmal gut. Es war einfach so und es war in Ordnung, wenn nichts passierte und man die Aussicht genoss. Heute haben wir uns zum ersten Mal seit langem wieder gesehen, aber bevor wir überhaupt reden konnten, stand er auf und verabschiedete sich. Ich hätte gerne gewusst, wie es ihm geht und wo er steht, aber wie wir alle am Tisch auch lebte er in seinem Kopf sein eigenes leben. Ich kränkte mich und mir fiel der Satz eines Freundes ein - jedes Fehlen an Aufmerksamkeit ist eine Kränkung an das Ich. Ich überlegte kurz, ob es an mir lag, aber merkte schnell, dass wir alle keinen Platz für jemand anderen in unseren Köpfen haben. Wir wollen am liebsten für uns sein mit unserer Leidenschaft und unseren Schmerzen. Vielleicht haben wir gar keine Lust unser Leben zu teilen, weil wir es uns einfacher mit uns selber ausmachen können. Vielleicht sind wir zu müde von der Wiederholung und vielleicht haben wir Angst, dass wir uns niemals richtig an das Leben gewöhnen. Wir schleppen unsere Brocken in die Bar und es wunderte mich, dass ich mir garnicht vorstellen konnte, wie es wäre, wenn man sich nicht zu 90% für sich selbst mit seinen Issues beschäftigt, während man nebenbei das Leben mit 10% halbherzig aus der Hüfte schüttelte. - Im Zweifel werd ich Fernfahrer oder krieg Lungenkrebs, sagte Patrick. Ich stand auf und ging noch eine Weile um die Häuser. Ich wollte für mich sein. Vielleicht ist Freundschaft nur das Vertrauen, dass man sich mag während man sich in Ruhe lässt, damit man sich mit sich selbst beschäftigen kann.

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